Das Gedicht zählt zu den poetischen Neujahrsgrüßen, für die die Nürnberger Lobsprecher verantwortlich waren (siehe MS 661, Kapsel 1428). Den bereits seit einem Jahr wütenden Bayerischen Erbfolgekrieg nahm Gottlieb Siegmund Wolf zum Anlass, seine Friedenshoffnung in einem Neujahrsgruß auszudrücken. Die Radierung zeigt unter einem Zelt den Kuss von Gerechtigkeit und Friede.1 Links geht über dem Kriegsgott Mars bereits die Friedenssonne auf und gegenüber verkündet Noris – Personifikation der Stadt Nürnberg –: ”Ich bin befreit“. Über ihr wird ein Schild aus den Wolken gereicht, der dank seiner Buchstaben ”IHS“ als göttlicher Schutz identifiziert werden kann und direkt über der Stadtsilhouette Nürnbergs seine Wirkung entfaltet. Zwischen Friedenssonne und Schild erstrahlt über dem Zelt in der oberen Bildmitte das göttliche Auge der Vorsehung mit den Worten “Dies ist der Herr”.
Die sich anschließenden Verse gehen noch über die Darstellung hinaus. Sie kritisieren das sündhafte Leben in Friedenszeiten, das wiederum zu Krieg führt und nur durch göttlichen Beistand in einen wohlgefälligen Zustand zurückgeführt werden kann. Als Friedensstifter spricht Wolf Kaiser Joseph II. an, der die Bevölkerung ”von feindlichen Bestürmen“ befreien soll.
ALS
Wie - welch' ein wichtiges Geschäfte
Setzt mich beym Abgang muntrer Kräfte
In schüchterne Verlegenheit - -
Welch' unverhoffte Kriegsposaune
Stört die sonst stille Dichterlaune,
In Absicht meiner Schuldigkeit?
Der Jahreswechsel reizt die Pflichten,
Sinn- und Gedankenreich zu dichten,
Allein! wer bürgt für meinen Kiel?
Wo nehm' ich Stof voll Kunst und Zierde?
Wer zeigt mir zur Neubegierde
Der Wahrheit abgemeßnes Ziel? -
Der Thor schreyt immer: Friede - Friede -
Wird doch des Sündigend nicht müde,
Häuft leider! täglich Schuld auf Schuld;
Verscherzt durch rohe Ueppigkeiten,
Von Jahr zu Jahr, von Zeit zu Zeiten
Des Höchsten Langmuth und Gedult.
Was Wunder? daß man ließt und höt
Wie Mars sich hie und da empöret,
Die schreckensvolle Trommel rührt;
Hier äussert sich ein Waff'nschwärmen,
Dort wird mit fürchterlichen Lärmen
Ein Kriegstheater aufgeführt.
Herzjammernd sind die bittern Klagen
Und banger Länder ängstlichs Zagen,
Wo das gezückte Schwert schon blinkt;
Wo ohne Nachsicht, ohn' Erbarmen,
Der Groß und Reiche nebst dem Armen
Uns Elend und Verderben sinkt.
Wer wird nun klug an Fremder Schaden?
Wer läßt ihm vor dem Unglück rathen?
Und wer erkennt die Gnadenzeit?
Verstockt bey andrer Zornexempel
Spricht man: Hier ist des Herren Tempel!
Die Strafgerichte sind noch weit.-
Verwegner Schluß - Nein! nur der Weise
Hält seine Laufbahn in dem Gleise
Der ungefärbten Frömmigkeit,
Verwahrt des Herzens innre Pfosten
Steht als ein Christ auf seinen Posten
In stiller Gottgelassenheit.
Sich schnöd und zu geringe achtend,
Den strengen Lauf der Zeit betrachtend
Erwegt er die erhabne Macht,
Die ihn in den verstoßnen Jahren,
Bey fernanscheinenden Gefahren
Gleich einen starken Schild bewacht.
Gebet und Glaube sind die Waffen,
Sich fernern Beystand zu verschaffen,
Kein Schicksal hemmt die Andachtsglut;
Der Hoffnungsanker eingesenket,
Ob Sturm und Wind den Mast umschränket
Stärkt und erhält des Geistes Muth.
Geliegte Stadt, die wir bewohnen!
Ists nicht Erbarmen und Verschonen,
Daß deine Mauern sicher stehn?
MATW