In seiner Neujahrspredigt auf das Jahr 1646 richtet der promovierte Theologe und Esslinger Pfarrer Tobias Wagner (1598–1680) den Blick auf die beginnenden Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück. Er beklagt die Lasten des Krieges, die auch Städte wie Esslingen bedrückt hätten, das vom Krieg weniger betroffen war. Und er gibt den Verhandlungsführern an, mit welchen „Friedens-Stimmen“ sie reden müssen, um den wahren, von Gott kommenden Frieden zu erreichen. In Auslegung der klassischen Verse aus Psalm 85 fordert er, man müsse mit klagenden Stimmen, Anrufungsstimmen und Wohlfahrtsstimmen reden und das Wohl des Volkes Gottes im Blick haben. Entscheidend sei die Furcht Gottes, auch bei den Unterhändlern, und die Besserung des Lebens. Unter Heranziehung zahlreicher Belege aus der antiken Literatur, aber auch von Luther und Erasmus von Rotterdam malt er die Torheit des Krieges aus. Als „vota media pacis admittentia, Stimmen, durch welche die annehmlichen FriedensMittel werden gut geheissen und admittirt“ bezeichnet er Güte, Treue und Gerechtigkeit. Mit diesen Mitteln gibt Wagner den Unterhändlern zugleich ein Ziel der Verhandlungen vor: Die Güte „ists [...] welche viel Unbilligkeit vergisset und manche Berg der Beleidigung in das Thal der Verstörung last fallen. [...] Daher das Wort Amnistia nicht allein von Cicreone in gestifften Frieden ist reassumirt, sondern noch auf den heutigen Tag im Römischen Reich so bekannt und gemein worden, dass jedermann von der Amnistia redet, der Amnistia in allen Discursen gedenckt und mit grossem Verlangen auff dieselbe, als eine zierliche liebliche Frucht der Güte wartet, zum Zeugnuss, dass ohne sie als eine vortreffliche Interponentin kein Fried mehr in Teutschland zu hoffen noch zu gewarten sei.“ Zweieinhalb Jahre vor Abschluss der Verhandlungen wird hier die Diskussion über die Wege zur Einigung wiedergegeben und der Artikel 1 des Westfälischen Friedens mit der allgemeinen Amnestieformel vorweggenommen.
HPJ